Luftwaffe in der zweiten Kriegshälfte


Deutsche Luftstreitkräfte im Zweiten Weltkrieg.
Teil II: Die Luftwaffe in der zweiten Kriegshälfte und ihr unvermeidlicher Untergang.

Jagdpiloten der Luftwaffe
Jagdpiloten der Luftwaffe warten vor ihren Bf 109 Jägern auf die nächste Abfangmission.

t_arrow2 zu Teil I hier: Luftwaffe in den siegreichen Jahren

Die deutsche Luftwaffe 1942 bis 1945


Die schweren Verluste in Russland führten zu einer erheblichen Schwächung bis zum Winter 1942/43. Dazu war Russland nicht das einzige Problem, denn auch in der Heimatverteidigung über dem Reich musste sie Gegenmaßnahmen gegen die zunehmende Stärke der englischen Bomberströme einleiten, welche mit dem ersten ‚Tausend-Bomber-Angriff‘ auf Köln (Unternehmen Millennium) in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 begonnen hatten. Zum ersten Mal musste die Luftwaffen Nachtjäger-Verbände aufstellen, da die feindlichen Bomber zu zahlreich wurden, um diese Offensive zu ignorieren.

Spätestens bis zum Endes des Jahres 1942 hatte die Luftwaffe – wie auch alle anderen Teile der Wehrmacht – der Tatsache ins Auge zu sehen, dass ihre bisherige Strategie falsch war. Ihre Zukunftsplanungen waren – gelinde gesagt – unentschlossen gewesen und nun hatte sie sich auf einen viel längeren und härteren Krieg einzustellen als ursprünglich erwartet. Der Flugzeugbau wurde angekurbelt und neue Entwürfe sollten nun endlich die im Dienst befindlichen Flugzeuge ersetzen. Die Situation verschlechterte sich 1943 weiter, als nun auch USAAF-Bomber vom Typ B-17 Fliegende Festungen und B-24 Liberator bei Tag das Reichsgebiet an griffen, was zu einer ‚Rund-um-die-Uhr‘-Bomberoffensive führte. Hinzu kam die zunehmende zahlenmäßig Unterlegenheit gegenüber der Roten Luftwaffe an der Ostfront, welche auch in der Qualität ihrer Flugzeugentwürfe aufholen konnte.

Zu dieser Zeit wurde das Radar zur Luftraumüberwachung eingeführt und ein Bordradar zur Zielsuche in die Nachtjäger eingebaut, während es auf der Gegenseite den alliierten Bombern bei ihrer Zielfindung half. Bei Tage wurden Vergeltungsangriffe mit Jagdbombern und in der Nacht mit Fernnachtjägern über England durchgeführt, was aber die alliierte Luftoffensive nicht wesentlich mindern konnte.

Die alliierte Bomber-Offensive zwang die Luftwaffe in der zweiten Kriegshälfte, neue Taktiken und Organisationsformen einzuführen, um dieser Gefahr aus der Luft Herr zu werden. Ein neues und ständig weiter entwickeltes Verteidigungssystem wurde eingeführt, welches die verschiedenen Elemente der Luftverteidigung, wie Radar, Suchscheinwerfer, Flugabwehr-Artillerie und Abfangjäger beinhaltete.

88 mm Flak 37 im Einsatz als Flugabwehrgeschütz
88 mm Flak 37 im Einsatz als Flugabwehrgeschütz in Deutschland.
Ursprünglich war für die Luftverteidigung des Reichsgebietes die zahlenmäßig starke Flak mit ihren Suchscheinwerfern-Batterien vorgesehen. Dazu kamen in der zweiten Kriegshälfte noch Radargeräte zur Erkennung feindlicher Flugzeuge und Bestimmung ihrer Flughöhe, Flugrichtung und Entfernung.
Die Flak wurde zur stärksten Waffengattung der Luftwaffe. Von einer Gesamtstärke von 1,5 Millionen Luftwaffen-Angehörigen im Jahr 1939 dienten etwa zwei Drittel bei der Flak und ihren zugehörigen Einheiten. Und im Verlauf des Krieges nahm ihre Bedeutung ständig zu.

Anfang 1942 war für die Planer der Luftwaffe bereits klar, dass ein Frühwarn-Radarsystem notwendig war, um feindliche Flugzeuge schon kurz nach dem Überfliegen der englischen Küste zu erkennen, sodass sie noch vor dem Erreichen des Ziels abgefangen werden können.
Eine Kette von verbundenen Radarstationen wurde daher 1942 von Frankreich bis in den Norden von Dänemark errichtet. Diese sogenannte Kammhuber-Linie wurde nach ihrem Organisator General Josef Kammhuber benannt und konnte durch eine Kombination aus Lang- und Kurzstrecken-Radarstrahlen Nachtjäger an den Bomberstrom heranführen, oft mit tödlichem Ergebnis.

Das verlorene Kriegsglück der Luftwaffe zeigte sich dann aber deutlich beim verheerenden RAF-Angriff auf die Raketenversuchsanstalt von Peenemünde unter Deckung von ‚Windows‘-Streifen, welche die deutschen Radargeräte störten. Anschließend beginn der Chef des Generalstabes der Luftwaffe, Generaloberst Hans Jeschonnek, Selbstmord.

Luftbild von der Raketenversuchsanstalt in Peenemünde nach englischem Luftangriff
Luftbild von der Raketenversuchsanstalt in Peenemünde nach dem durch Lancaster-Bombern der RAF durchgeführten Luftangriffes vom August 1943.

Die Einführung der ‚Window‘-Streifen durch die RAF im Jahr 1943 zwang die Luftwaffe, neue Taktiken bei der Nachtjagd einzuführen. Diese wurden als ‚Wilde Sau‘ und ‚Zahme Sau‘ bezeichnet. Die Methode ‚Wilde Sau‘ konzentrierte die deutschen Jäger über dem angenommenen Ziel, wo sie auf ihre Beute teils mithilfe des Radarbeobachters und, teils durch Sichtkontakt über der durch Suchscheinwerfern und Bränden beleuchteten Stadt suchen mussten.
Dagegen basierte die Methode ‚Zahme Sau‘ auf den bisherigen Taktiken, indem die Nachtjäger zu dem durch die ‚Window‘-Streifen am meisten gestörten Bereich gelenkt wurden, in der Hoffnung dort den Bomberstrom zu finden und dann den Feind in einer langen Nachtschlacht über Deutschland zu bekämpfen.


Jeschonneks Nachfolger wurde General Günther Korten, der sein Amt mit neuen und richtigen Ideen begann. Er reorganisierte die Luftwaffe und gab den strategischen Bombenangriffen – vor allem gegen die kaum bisher verteidigten Zielobjekte der russischen Rüstungsindustrie – sowie der Heimatluftverteidigung höchste Priorität. Die Vernachlässigung der Luftunterstützung für das Heer nahm er dafür bewusst in Kauf.
Jedoch wurden Kortens Pläne durch die russischen Gegenoffensiven zwischen Sommer 1943 und Frühjahr 1944 weitgehend über den Haufen geworfen, da dadurch die notwendigen und schon ausgebauten Luftwaffenbasen innerhalb der deutschen Bomberreichweite zu den wichtigsten russischen Industriezielen verloren gingen. Inzwischen waren die Achsenmächte auch schon aus Nordafrika vertrieben, Italien hatte kapituliert und die Alliierten schritten zwar langsam, aber stetig durch Italien nach Norden voran.

Trotzdem hatte Korten noch in der ersten Hälfte des Jahres 1944 durchaus Grund zum Optimismus. Seine Stärke an einsatzfähigen Frontflugzeugen war nun auf über 5.500 Maschinen angewachsen, die Treibstoffsituation, welche bisher immer ein gewisses Problem war, hatte sich durch den Aufbau der synthetischen Treibstoffindustrie entspannt und es kamen mehr und besser ausgebildete neue Flugzeugbesatzungen aus den Luftwaffen-Flugschulen. Mehrere lang erwartete neue Flugzeugtypen wurden eingeführt, darunter der große strategischen Bomber He 177 und die Ju 188 Bomber, der Me 410 Zerstörer und der He 219 Nachtjäger – und noch viel mehr wurde von einer neuen Generation von Düsenflugzeugen und Raketenjägern erwartet, welche in der Entwicklung waren und in Kürze Frontreif werden würden.

Me 262 beim Erprobungskommando 262
Me 262 beim Erprobungskommando 262 in Lechfeld (Bayern) im Sommer 1944.

Fortschritte in der Radartechnologie bei den Bordgeräten für Nachtjäger erreichten ihren Höhepunkt mit dem SN-2-Radar, welches dem Navigator den Einsatz auf Frequenzen erlaubte, die von den ‚Window‘-Streifen im Gegensatz zum bisherigen Lichtenstein-Radargerät nicht gestört werden konnten.
Der Erfolg dieses neuen Systems führte zu schweren britischen Verlusten. In der Zeit vom 18. November 1943 bis Ende März 1944 gingen über 1.000 Nachtbomber verloren und weitere 1.682 wurden beschädigt, während einer Serie von 35 Großangriffen auf deutsche Städte.

Bf 110 Nachtjäger nach Einsatz
Ein Bf 110 Nachtjäger ist aus dem Einsatz zurückgekehrt und die Besatzung wird begrüßt.

Zwar richtete sich seit Sommer 1943 das Hauptziel der amerikanischen Bomberoffensive gegen die deutsche Flugzeug- und Flugzeugmotoren-Industrie und es wird geschätzt, daß zwischen Mitte 1943 und Ende 1944 etwa 14.000 Jagdflugzeuge und 4.000 andere Flugzeuge während der Produktion zerstört wurden. Doch auf der anderen Seite, wären diese Flugzeuge – selbst wenn sie fertiggestellt worden wären – durch den zu diesem Zeitpunkt schon bestehenden Mangel an qualifizierten Flugpersonal und Treibstoff in ihrer effektiven Nutzung stark eingeschränkt gewesen.

Doch eine nicht vorhergesehene technische Innovation der Alliierten zerstörte jeden Optimismus: das Erscheinen des amerikanischen Langstrecken-Begleitjägers P-51 Mustang mit Zusatztanks brachte den US-Bombern den dringend notwendigen Begleitschutz bis zu jedem Ziel in Deutschland.

US Jäger hinter Bf 110
Ein amerikanischer Begleitjäger schnappt sich einen deutschen zweimotorigen Bf 110 Zerstörer.

Als Folge davon verlor die Luftwaffe nicht nur innerhalb weniger Wochen vollständig die Beherrschung des eigenen Luftraums über dem Reichsgebiet, sondern es wurde nun auch unbarmherzig die synthetische Treibstoffindustrie in Deutschland sowie die Erdölversorgung aus Rumänien zerschlagen. Dies wiederum schränkte die Einsatzfähigkeit der Luftwaffen-Verbände sehr stark ein und brachte vor allem praktisch die qualifizierte Ausbildungstätigkeit der Luftwaffen-Flugschulen zum Erliegen. Erst einmal in diesen Teufelskreis geraten, konnte die Luftwaffe diesem bis zum Kriegsende nicht mehr entrinnen.

Schließlich begann im Sommer 1944, mit der Invasion in der Normandie und den russischen Vorstößen nach Polen und in den Balkan hinein, die unaufhaltsame Dynamik des endgültigen Niederganges. Verzweifelte Panik-Maßnahmen, wie das V-Waffen-Programm, der gewaltigen Steigerung des Jäger-Bauprogrammes auf Kosten der fast vollständigen Aufgabe der Produktion von Bombern und anderer Flugzeugtypen, die überhastete Einführung der Jet- und Raketengetriebenen Abfangjäger, alle kamen zu spät, um den Ablauf der Dinge noch einmal herumzureißen.

Heinkel He 162 Volksjäger der I. Gruppe des Jagdgeschwader 1
Zu spät für die Luftwaffe und das Dritte Reich kam dieser Heinkel He 162 Volksjäger der I. Gruppe des Jagdgeschwader 1. Die Einheit erreichte gerade die Bereitschaft zum Kampfeinsatz mit dem neuen Düsenjäger, als der Krieg zu Ende war.

Durch den Verlust des Vorfeldes im Westen mit seinen Radarstationen und den nun nur noch kurzen Anflugzeiten der alliierten Bomber über deutschen Luftraum bis zu ihren Zielen, verlor nun auch die Streitmacht der Nachtjäger ihren beinahe schon in den nächtlichen Luftschlachten über Deutschland erzielten Abwehrsieg.
Die letzte große Operation der Luftwaffe (Unternehmen Bodenplatte) zur Unterstützung der Ardennen-Offensive am Neujahrstag 1945 gegen die alliierten Flugplätze in Europa scheiterte unter hohen Verlusten (vor allem wegen der zahlreichen Abschüsse durch die eigene Flak, welche über das Unternehmen aus Gründen der Geheimhaltung nicht unterrichtet war) und danach war der letzte verfügbare Treibstoff so ziemlich aufgebraucht.


Bei einer Ansprache am Vorabend des Zweiten Weltkrieges im August 1939 hatte Göring als Tagesbefehl herausgegeben: ‚Inspiriert in dem Glauben an unseren Führer und Oberbefehlshaber … sind wir bereit, jeden Befehl unseres Führers blitzschnell und mit ungeahnter Kraft auszuführen.‘
Die Realität, das Scheitern einer Luftwaffe, welche von ihren eigenem Befehlshabern nicht richtig geführt werden konnte, wurde nach dem Krieg von General Karl Koller, welcher die Position des Chefs des Generalstabes der Luftwaffe nach dem Tod von General Korten übernommen hatte, wie folgt beschrieben:
‚Es gab viele Gründe, warum Deutschland den Krieg verloren hat: politische, wirtschaftliche und militärische Gründe, welche unsere eigenen Fehler waren. Keiner dieser Gründe war jedoch dafür ausschlaggebend, noch waren sie es zusammen. Wenn sie vermieden worden wären, dann hätte in der Tat eine günstigere Entwicklung der Lage möglich sein können. Davon jedoch abgesehen, was eigentlich entscheidend war, war der Verlust der Lufthoheit !
Wir waren wie die einsamen Stimmen im Wald – niemand hörte uns zu. Versprechungen wurden gemacht für den Aufbau der größtmöglichen Luftwaffe nach der Beendigung des Krieges in Russland. Millionen von Soldaten sollten dann aus der Armee entlassen werden, um in der Flugzeugindustrie oder der Luftwaffe zu arbeiten. Nur die Luftwaffe sollte dann noch ausgebaut werden. In der Zwischenzeit musste natürlich die Luftwaffen-Rüstung bei der Reihenfolge der Produktionsprioritäten hinten anstehen. Erst kamen U-Boote, dann Panzer, dann Sturmgeschütze, dann Haubitzen und was Gott noch alles weiß – und dann kam erst die Luftwaffe. Unterdessen fraß der Krieg in Russland alles auf: Männer, Material, Waffen und Flugzeuge – und das einzige, was für die Luftwaffe übrig blieb, waren nie eingehaltene Versprechungen. Ihre Aufgabe war es nur noch, Opfer zu bringen.‘

Bf 109 G-14
Diese G-14 ist von der III. Gruppe des JG3 mit übermalten nationalen Kennzeichen ist in der letzten Kriegsphase fotografiert

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Quellenangaben und Literatur

Luftkrieg (Piekalkiewicz)
German Aircraft of World War 2 in Colour (Kenneth Munson)
Luftwaffe Handbook (Dr Alfred Price)


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